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GOTIK in YORKSHIRE
Klöster, Burgen und Kirchen in den Yorkshire Dales und North York Moors
Kurzreise vom 3. bis 7. Oktober 2011


Ein paar Sätze vorab

Es steckt keine Strategie dahinter, die Epochen der Kunstgeschichte anhand architektonischer Exempel chronologisch zu durchmessen. Es ist reiner Zufall, daß auf die Romanik im Jahr 2010 die Gotik 2011 folgte.

Obwohl, wenn man so darüber nachdenkt: Es bestünde schon ein gewisser Reiz darin, genau so vorzugehen. Dann lägen die Ziele für die folgenden Jahre jetzt schon fest: 2012 Italienische Renaissance, 2013 Oberschwäbische Barockstraße, 2014 zu Herrn Schinkel ins preußische Kernland (oder lieber doch nach Frankreich in die Île-de-France), 2015 dann die Suche nach der Blauen Blume im Deutschen Wald und 2016 ginge es zum Jugendstil nach Czernowitz. Danach sähen wir weiter.

Nun könnte der geschichtsfeste Leser meinen, daß die Verbindung des achten Heinrich, eines Sohnes der Elizabeth von York, mit der Katharina von Aragon der Grund für unsere Reisen nach Aragon 2010 und Yorkshire 2011 gewesen wäre. Zuviel der Ehre, so weit haben wir vergangenes Jahr (eigentlich auch dieses Jahr) nicht gedacht.

Nein, Yorkshire stand schon lange auf der Agenda. Auf eine Reise im Juli 2011 hatten wir uns festgelegt. Daß nichts daraus wurde, lag am Schliersee und an Amerika. Aber das ist eine andere Geschichte.

Und so kam's, daß wir die Reise in den ersten Oktobertagen nachgeholt haben - nicht trotz, sondern wegen der dann normalerweise vorherrschenden Großwetterlage.

Um's vorweg zu nehmen: Das Wetter war erfreulich gut und was wir gesehen haben, hat unsere schon nicht gerade geringen Erwartungen weit übertroffen. Die Fotos werden's beweisen.

Daß wir dazugelernt haben, versteht sich. Aber wie differenziert wir ein wichtiges Kapitel der Religionsgeschichte zu sehen lernen würden, war nicht zu erwarten. "Wenn ich", sagte Moni, "Königin Elizabeth II. in ihrer Eigenschaft als Oberhaupt der anglikanischen Kirche wäre, dann würde ich diesen Titel umgehend ablegen. Direkte Titel- und Funktionserbin Heinrichs VIII. zu sein, dieses sexbesessenen Gattenmörders, dem seine Weibergeschichten wichtiger waren, als die Staats- und Religionsrason, nein, das würde ich nicht wollen. Aber ich bin ja nicht Elisabeth."

Genau. Und auf Heinrich komme ich ausführlich zurück.

Eigentlich wollte ich ja etwas über die Reise schreiben. Das mache ich jetzt auch.


! Die meisten Bilder lassen sich (so wie dieses hier) durch einen Klick vergrößern!




An einem sonnigen Oktobernachmittag übernahmen wir am Leeds-Bradford-Airport unseren vorreservierten Vauxhall Corsa. Rechtssteuerung: kein Problem; Gangschaltung mit der linken Hand: auch kein Problem. Also ab, nordwärts auf die Yorkshire Dales zu.



Erste Station: Bolton Abbey
And forth from Rylstone-hall stepped she / To seek her Brother forth she went,
And tremblingly her course she bent / Toward Bolton's ruined Priory.
(1)

Eigentlich ein Priorat (Priory), gemeinhin aber als Abtei bezeichnet, war das Kloster eine Gründung der "schwarzen" Augustiner aus dem Jahr 1151. Der Einfall schottischer Heere verursachte zu Beginn des 14. Jahrhunderts erhebliche Schäden an allen Gebäudeteilen. 1370 wurde die Hauptkirche in die Pfarrkirche für die umliegenden Dörfer umgewandelt, da sie für die geringe Zahl der in der Abtei lebenden Kanoniker (Canons) überdimensioniert war.
Diese Situation bestand bis 1539. (2)
Danach verfielen die Gebäude und wurden teilweise als Steinbruch benutzt. Das Gelände ist im Besitz des Duke of Devonshire.



So lange hatten wir uns aufgehalten, daß wir uns entschlossen, das Skipton Castle links liegen zu lassen und den Corsa direkt in die Dales zu lenken. Und schon verlangten uns die engen, mauer- und zaungesäumten Sträßchen eine weitere Entscheidung ab: Unvorsichtig und ohne einen Blick für die Schönheit der rauhen Landschaft und pittoresken Dörfchen durchzustochen, um uns noch auf dem Weg zu unserem ersten Domizil den Weiler Dent anzusehen oder es etwas gemächtlicher (und sicherer) angehen zu lassen und dafür auf Dent zu verzichten.

Wir haben uns fürs Überleben entschieden.

Mit Einbruch der Dunkelheit und des Nachtfrostes erreichten wir unser Ziel Garsdale Head, das aus einer Drei-Häuser-Zeile und einer Scheune besteht. Im rechten Teil des "Komplexes" unser gepflegtes und bestens ausgestattetes B&B, das Garsdale B&B, in der Mitte nix und links das urige Moorcock Inn.



Ein gemütlicher Pub, geführt von zwei wohlbeleibten Lesben (auf dem Foto der Rücken von Cathryn) und frequentiert von Bauern aus der engeren und einer Menge Jungvolk aus der weiteren Nachbarschaft. Das Essen war mittelmäßig, das Ale gepflegt und - da die Barfrau vom Whisky offensichtlich keine Ahnung hatte - aus einer Riesenauswahl von gereiften, alten Single Malts die Besten zu 2 Pfund 80.

Nachts haben wir die Stille gehört, früh morgens unter Verzicht auf das "Full English Breakfast" gut und reichlich gefrühstückt und uns auf den Weg gemacht, hinein in die Weiten der Yorkshire Dales.

Vieles, das einem beim Anblick den Atem verschlägt, ist ungeeignet, photographiert zu werden. Mag das hier eine Vorstellung geben.



Nach zwei Stunden erreichten wir die nördlichen Hänge der Dales und damit das Städtchen Barnard Castle mit seinem gleichnamigen - na was schon? - Castle.


Zweite Station: Barnard Castle
On Barnard's towers, and Tees stream / She changes as a Guilty dream
When conscience, with remorse and fear / Goads sleeping fancy's wild career.
(3)

Die Festung, auf einem Fels hoch über dem Ufer des River Tee gelegen, ist eine Gründung des 12. Jahr-hunderts. Aus den Händen der Nachfahren der normannischen Erbauer gelangte die Burg im 15. Jahrhundert in den Besitz Richards III. Im Verlauf der Tudor'schen Auseinandersetzungen um den Thron wurde Barnard Castle zerstört und verfiel in der Folge. Heute steht die Burg in der Verwaltung von "English Heritage". (4)



Dritte Station: * Eggelstone Abbey
Knappe drei Kilometer südöstlich liegt Egglestone Abbey. Das genaue Gründungsjahr liegt nicht fest, sicher ist, daß das Kloster von Praemonstratenser-Kanonikern (Canons) nicht vor 1168 und nicht nach 1198 gegründet wurde. Wie alle Gründungen jener Zeit wurde auch Egglestone abseits der Verkehrs- und Handelswege in einem fruchtbaren Tal in unmittelbarer Nähe zu einem Fluß und einem Steinbruch errichtet. Im späten 13. Jahrhundert wurde das Kirchenschiff vergrößert, nachdem schottische Truppen große Verwüstungen verursacht hatten. Die immer arme Abtei, die sich häufig dem Problem ausgesetzt sah, die erforderliche Anzahl von 12 Kanonikern (Canons) rekrutieren zu können, wurde 1540 säkularisiert. Die Gebäude wurden verkauft und in ein Wohnhaus umgewandelt. Bis dem Besitzer die finanziellen Mittel ausgingen. Die Folge: langsamer, aber stetiger Verfall.



Parallel zu den nordöstlichen Hängen der Yorkshire Dales führte uns die Straße nun nach Richmond.

Vierte Station: Richmond Castle
Die Gründung der Burg erfolgte im Verlauf der normannischen Eroberung Englands. Erstmals wird sie 1071 erwähnt. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts wurden die Befestigungen verstärkt und der mächtige Bergfried zugefügt. Zeitweilig, als der Earl of Richmond als Henry VII. England regierte, war Richmond Castle Königsschloß. Die Burg war in nie in die Kriege und Auseinandersetzungen verwickelt, sie mußte nie verteidigt werden. Gelegentlich wurde sie als Gefängnis für abgesetzte Könige benutzt (Wilhelm der Löwe von Schottland, Charles I.), ab dem 16. Jahrhundert aber dem Verfall preisgegeben.



Im weiteren Verlauf des Swaile-Tals, nur wenige Meilen von Richmond entfernt, liegt unsere

Fünfte Station: Easby Abbey und St. Agatha
Der Constable Roald von Richmond Castle ist der Gründer der Abtei, die aufgrund der Tatsache, daß sie (wie das benachbarte Egglestone) für 13 Praemonstratenser-Kanoniker (Canons) erbaut wurde, richtiger als Priorat (Priory) zu bezeichnen wäre. Als Gründungsjahr ist 1152 gesichert. Aufgabe der Praemonstratenser war die Missionierung und die Unterweisung der Bevölkerung in Ackerbau und Viehzucht, sowie der Betrieb eines Hospitals für "22 arme Männer". Bei den Feldzügen der Engländer gegen die Schotten und der Schotten gegen die Engländer im 14. Jahrhundert wurde Easby immer wieder in Mitleidenschaft gezogen, aber immer wieder aufgebaut. Bis 1537 das Ende kam.



Auf dem Gelände der Abtei steht St. Agatha, ein normannisch-gotisches Kleinod aus dem 12. Jahrhundert, das noch immer als Pfarrkirche dient. Berühmt ist St. Agatha wegen seiner ausnehmend gut erhaltenen Wandmalereien aus dem 13. und dem "Easby Cross" aus dem 7. Jahrhundert (Replik; das Original steht im Victoria & Albert Museum in London).



Zu unseren nächsten Zielen am östlichen Rand der Yorkshire Dales mußten wir die wenig befahrenen Straßen der Dales verlassen und in die Ebene zwischen den Mittelgebirgslandschaften der Yorkshire Dales und North York Moors begeben.
In diesem Korridor bündeln sich die Hauptdurchgangsrouten des Bahn- und Straßenverkehrs zwischen der Metropole London, den Industriegebieten im Nordosten und Schottland. Nach wenigen Meilen konnten wir uns aber wieder 'in die Büsche schlagen' und uns auf einspurigen Straßen dem nächsten Ziel nähern.

Sechste Station: Jervaulx Abbey
Das Kloster wurde 1145 von Mönchen der Savigny-Kongregation aus der gleichnamigen Abtei in der Nor-mandie als Tochterkloster der Byland Abtei (s. dort) in Fors gegründet. Die Mönche übernahmen um 1150 die Regeln der Zisterzienser und gehörten damit zur Filiation der Primarabtei Clairvaux. 1156 siedelte man an den heutigen Standort im Tal des Ure (engl. Ure vale), woraus sich der Name der Abtei ableitet und begann mit dem Bau, der 1220 vollendet war. Aufgrund des Reichtums, den die Abtei hauptsächlich durch Pferdezucht und mit ihrer Käserei erzielte, wurde sie zu einer der größten und wichtigsten Klöster Mittelenglands. 1537 ereilte sie das Schicksal aller Klöster auf den britischen Inseln. Seit 1971 ist Jervaulx im Besitz der Familie Burden, die auf dem Gelände u.a. ein schönes B&B betreibt.



Nur acht Meilen entfernt im Nordwesten liegt unsere

Siebte Station: Middleham Castle
Der Bau dieser einstmals mächtigen Festung, deren Ausmaße heute noch beeindrucken, wurde 1190 begonnen. Die Burg war über Jahrhunderte Wohnsitz der Earls of Warwick, denen auch der spätere König Richard III. entstammte. Durch seinen zeitweiligen Aufenthalt in Middelham Castle wurde diese als Königs-burg geadelt. Nach Richards Tod blieb Middleham in königlichem Besitz. Der Verfall begann im 17. Jahrhundert.



Es war ein langer, erfüllter Tag, den wir mit Middleham Castle abschlossen. Eine geruhsame Fahrt durch das Wensleydale nach Westen brachte uns zurück zu unserem B&B in Garsdale. Eine Pint of Ale und einen Islay Malt bei Caz & Cathryn im Moorcock Inn und dann ab ins Bett.

Neuer Tag, neues Glück? Wenig verheißungsvoll begann der Tag mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, Nieselregen und einer Sichtweite von knapp 50 Metern. Aus dem Tal ging's auf schmalsten Straßen, quer durch verfallene Gehöfte immer höher hinauf auf das Wether Fell. Je höher wir kamen, um so einsamer und nebliger wurde es. Schafe und Kühe waren die einzigen Lebewesen.



Bis wir hinter der Hochebene den Nordhang des Wharfedale erreichten. Abwärts ging's in das sattgrüne ("lush" wäre treffender) Tal des Wharfe zu unserem nächsten Ziel:


Achte Station: Hubberholme
"One of the smallest and most pleasant places in the world" (J. B. Priestley)
Das normannische Kirchlein aus dem 12. Jahrhundert mit dem Patrozinium des Hl. Michael und Alle Engel (All Angels). Das kleine Gotteshaus ist als Waldkapelle in den Jagdgebieten der Normannen gebaut worden. 1241 wurde sie der Abtei Coverham zur Betreuung übergeben. 1558, nach Aufhebung der Abtei, wurde der intakte und sehr seltene "Gewölbelettner" (Rood Loft) aus der Abtei hierher nach Hubberholme verbracht.



Das Tal des Wharfe haben wir in Thresfield verlassen, uns von den Yorkshire Dales verabschiedet und auf der B6265 wieder in die Ebene bis kurz vor die Stadtgrenze von Ripon gefahren. Denn dort befindet sich unsere

Neunte Station: Fountains Abbey
Die Abtei wurde 1132 von 13 Mönchen aus York im Tal des River Skell gegründet. Diese nahmen 1135 die Regeln der Zisterzienser an. Fountains Abbey wurde durch die vielen in der Schaf- und Pferdezucht sowie der Eisenverarbeitung beschäftigten Laienbrüder zu einem der wohlhabendsten und einflußreichsten Klöster Englands.
Ab dem 14 Jahrhundert sorgten die Pest, schottische Überfälle und finanzielle Mißwirtschaft zum Niedergang des Klosters, bis es 1539 aufgelöst wurde.
Die Anlage wird vom National Trust betreut.



Nur ein kurzer Sprung ist es von hier ins Zentrum des Kleinstädtchens Ripon.

Zehnte Station: Ripon Cathedral
Die Krypta aus dem Jahr 672 beweist, daß an der Stelle, an der die mächtige gotische Kathedrale steht, seit 1.450 Jahren das Hl. Meßopfer gefeiert wird. Dem Hl. Wilfrid wird die Gründung zugesprochen. Nach der Zerstörung der ersten Kirche im Jahr 948 wurde ein neuer Bau erstellt, der 1069 von Wilhelm dem Eroberer den Erdboden gleichgemacht wurde. Die Westfront des dritten Baus stammt vom Beginn des 13. Jahrhunderts, während das heutige Langschiff nach einem Einsturz des Zentralturms im Stil der Hochgotik nach 1450 neu errichtet wurde.



Genug der Mühsal und Hhektik der Ebene, zurück in die Einsamkeit. Die North York Moors warteten. Am südlichen Ausläufer lag die nächste Überraschung, die

Elfte Station: Byland Abbey
Man sollte annehmen, daß es nach den bisherigen Abteien auf eine mehr oder weniger nicht mehr an-kommt. Weit gefehlt. Auch Byland ist - wie alle vorherigen - ein Juwel von bemerkenswerter Einzigartigkeit. Allein die Vorstellung der Fassade mit einer kompletten Rosette! Kein Wunder, daß in der Literatur die Kirche der Abtei als eine der schönsten (finest) gotischen Bauwerke Europas bezeichnet wird. Im 13. Jahrhundert galt Byland als "eines der drei strahlenden Lichter des Nordens".
Wie Jervaulx war Byland eine Gründung der Savigny-Kongregation und nahm gleichermaßen die Regeln des Zisterzienserordens an. Mit dem Bau wurde 1177 begonnen. Das Kloster bezog seine Einkünfte hauptsächlich aus der Schafzucht und Wollverarbeitung. 1538 ereilte das Schicksal auch Byland.



Unsere nächste Station, Helmsley Castle, wäre wieder nur ein paar Meilen entfernt gewesen. Wenn uns nicht die Unlust überkommen hätte, noch ein paar Ruinen anzusehnen, besonders, da diese wohl keinen Vergleich mit den vorherigen Burg-Ruinen auszuhalten schien. Also haben wir zwei Runden durch das niedliche Kleinstädtchen gedreht, einen Blick durch den Zaun auf den Bergfried geworfen, beschlossen, daß es sich tatsächlich nicht lonht und sind weitergefahren.

Zwölfte Station: Rievaulx Abbey
Zwölf Mönche aus Clairvaux gründeten 1132 in Rievaulx in einem engen Tal am River Rye.(rye-vault = Gewölbe am Rye) als erste Zisterzienserabtei in Englands Norden und als Ausgangspunkt für Missionierung und Kultivierung des Landes. In ihren besten Zeiten beherbergte die Abtei über 140 Mönche und zusätzlich viele Laienbrüder. Haupterwerbsquellen waren die Blei- und Eisenerzgruben sowie die Schafzucht und der Verkauf der Wolle nach ganz Europa. Der Grundbesitz belief sich auf 24 km². Rievaulx traf im 13 Jahrhundert das Schicksal aller anderen Abteien: Mißmanagement, Überfälle schottischer Marodeure und die Pest dezi-mierten die Belegschaft auf (1381) nur noch 14 Mönche und drei Laienbrüder. Und dann kam 1538.



Das wär es für diesen Tag gewesen. Denn nur noch die Fahrt zu unserem B&B in der Easterside Farm stand an. 10 Meilen galt es über Feld- und Waldwege zu fahren, vereinzelt Traktoren auszuweichen und die Orientierung nicht zu verlieren. Daß Fasane, Wachteln, Kaninchen und Hasen ein geradezu selbstmörderisches Verhalten an den Tag legen, das hatten wir in den Dales schon drastisch erfahren müssen. Und je dunkler es wurde, um so weniger schienen die Viecher bereit, den Weg freizumachen. Dann eben nicht …

"Nein, in diesem Zimmer werden wir NICHT schlafen. Das tut uns zwar leid, für Sie und für uns. Aber definitiv Nein."



Also weiter über das Fasanen- und Kaninchenpflaster auf die Hochebene des Arden Great Moor. Welch eine Landschaft, welche Einsamkeit. Doch die geballte Schönheit flog vorbei. Leider. Wir fuhren was der Corsa und die Feldwege hergaben. Die Dunkelheit brach herein. Und gerne hätten wir gesehen, wo wir entlang fahren und wo untergekommen würden.

In Osmotherley war's dann soweit. Gleich beim zweiten Versuch haben wir ein schönes B&B gefunden und - Überraschung - im Golden Lion ein ausgezeichnetes Dinner mit blendend zubereiteten, tagesfrischen Fischgerichten serviert bekommen.
Am nächsten Morgen hatten wir nur eine kurze Strecke zurückzulegen.

Um zehn Uhr, hatte uns unser Wirt vom Vane House gesagt, öffnet man die Türen. Um neun Uhr waren wir da. Was nun? Eine Stunde warten oder - mal gucken? Rechtsrum: nichts, kein Törchen, kein Schlupfloch in der Mauer. Links rum: Ein Wohnhaus "private, no trespassing" am Gatter. Nun ja, neun Uhr. Sind sicher alle schon zur Arbeit. Oder? Riegel zurückgeschoben, Blumenbeete bewundert, nächstes Gatter geöffnet, über 'ne Wiese geschlichen, ein Mäuerchen überklettert und da waren sie, die Ruinen der Mount Grace Priory.


Dreizehnte Station: Mount Grace Priory
Zehn Karthäuser-Kloster gab's im Mittelalter in England. Diese hier ist die besterhaltene und die jüngste Abtei in Yorkshire, gegründet 1398. Ausgelegt war sie für den Prior und 23 Mönche. Doch der Mt. Grace Priory war nur ein kurzes Leben beschert. Denn 1539 kam bereits das Ende.



Entlang des größten Fließgewässers im North York Moors National Park, dem Esk River im gleichnamigen Dale sind wir dann gemächtlich Richtung Nordsee gefahren: Commondale, Ainthorpe, Houlsyke, Lealholm, Glaisdale, Grosmond und wie die Dörfer alle heißen …
Und dann standen wir hoch über der Nordseeküste und dem Hafenstädtchen Whitby.

Whitby: Jahrzehnte ist es her, daß kein London-Besuch endete, ohne daß wir in der 1520 gegründeten Spelunke, dem Prospect of Whitby an der Theke gestanden hätten. Da die nächste U-Bahn-Station (damals) weit entfernt und (damals) Taxis zu teuer waren, sind wir durch die (damals) düsteren, unheimlichen Docklands von East-London gelatscht, nur um uns vorzustellen, die schrägen Vögel an der Theke wären - wie damals - Schmuggler, Diebe, Ripper und Outlaws; um zum Abschluß mit einem letzten Stout in der Hand auf der Themsemauer zu sitzen und die Füße überm Wasser baumeln zu lassen. Damals.

Nun also sind wir in der Stadt, die dem Pub den Namen gab.

Whitby, Stadt? Auf der Promenade, rund um das Hafenbecken und entlang der Ufermündung des River Esk flanieren Rentnerscharen mit ihren vierbeinigen Lebenspartnern. Im Naturhafen dümpeln Fischkutter und ein paar kleine Segelboote. In der Bridge Street warten ein paar Restaurants auf Gäste.
So auch das "Green's of Whitby".
Doch Mr. Green wußte ja wegen unserer Reservierung, daß wir kommen. Völlig überflüssig, was die freien Tische anbetraf, aber völlig zu Recht unsere Wahl betreffend. Die fangfrischen Austern, ein umwerfender schottischer Lachs mit frischen Garnelen und als Hauptgang Fish & Chips. Ja, richtig gelesen: Fish & Chips. Bisher hatten wir gedacht, es gäbe nur diese eine Art: gekauft in einem Büdchen, serviert in einer Tüte aus Zeitungspapier.
Jetzt wissen wir, dass es auch noch eine andere Art der Zubereitung und der Darreichung gibt. Selbst die "Chips" waren perfekt, große frische Kartoffelstäbchen in frischem Öl frittiert, außen knusprig und innen weich, geradezu von belgischer Qualität. Und erst der Fisch!
Nicht irgendeiner, nein mit Vor- und Zunamen. Wer den Fisch morgens angelandet hat, das steht auf der Tafel mit den Tagesgerichten. Name des Fischers, Name des Kutters.

Nach diesem fulminanten Essen fuhren wir auf das Plateau hoch über der Stadt. Denn hier stand unsere


Vierzehnte Station: Whitby Abbey
Wenig Touristen, strahlender Sonnenschein und ein kräftiger Nordseewind waren die idealen Voraussetzungen, diesen - hier nicht erwarteten - Höhepunkt unserer Gotik-Reise zu genießen. Sicher hatten wir mächtigere Ruinen gesehen, besser erhaltene, idyllischer gelegene und einsamere. Aber der Dreiklang von Architektur, Meer und Sonnenschein war so perfekt, daß wir unser ganzes Restleben lang keiner Fotos bedürfen, um uns an Whitby Abbey zu erinnern. Bereits 657 die Abtei als Doppelkloster für Männer und Frauen gegründet. Nach der Zerstörung durch die Dänen wurde sie 1067 als Benediktinerkloster durch einen Gefolgsmann Wilhelms des Eroberers neu gegründet. Der heute sichtbare Bau wurde 1220 begonnen. Seine Bestimmung wurde 1539 durch das berüchtigte Dekret Henry VIII. beendet. Whitby Abbey verfiel.



Was hätte jetzt noch kommen, was diese unvergeßlichen Eindrücke übertreffen können? Wir beschlossen, gemächtlich die 20 Meilen über das Hochmoor nach York zu fahren und die geplante Besichtigung des Pickering Castle ausfallen zu lassen.
Es reichte uns. Schließlich erwartete uns als letzter Höhepunkt noch eine der großartigsten Kathedralen der Gotik. in einer anderen römischen Colonia, die noch älter ist als unsere CCAA, COLONIA EBORACENSIVM, York.

1961 hatte ich auf meiner Vespa-Tour durch Irland, Schottland und England in York einen Stop eingelegt. 1974 war ich mit Moni auf einem Kurztrip in den Lake District für ein paar Stunden hier. Beide Male wurde der Beschluß gefaßt, hierhin zurückzukehren. Nun endlich hatten wir's geschafft.

Nur, wie das so ist, alles hätt sing Zick. Das, was uns vor 50, 35 Jahren begeistert hat, sehen wir wohl heute mit anderen Augen: nüchterner, alters- und reiseerfahrener, großräumiger. Wo ist der Charme Yorks geblieben, der die Stadt in meinen Augen zu einer der schönsten Mittelstädte Europas machte, in einer Reihe mit Brügge und Siena? Egal.
Es war ja nicht York, das auf der Agenda stand, es war das Minster.


Fünfzehnte Station: York Minster
Zeitlos, zeitlos schön, zeitlos aufregend. Auf den beiden Vorgängerkirchen (7.-11.Jhd. und 1100-1220) aufbauend, gehört das Minster in York zu ältesten Kirchen des Abendlandes und den großartigsten Schöpfungen der Gotik. Unter Erzbischof William Grey wurde 1215 damit begonnen, die normannische Kirche im Stil der Zeit umzu-bauen. Zuerst wurden die Querschiffe hinzugefügt, 1291 folgte das Langhaus, das 1360 fertiggestellt war. Lady Chapel und Chor wurden 1405 vollendet. Mit der Fertigstellung der beiden Türme 1472 erhielt das Minster seine endgültige Form.


+++ Ein Vergleich: Der Bau des Kölner Doms wurde 28 Jahre später begonnen und 408 Jahre später beendet. Noch ein Vergleich: Länge Y(ork Minster) 159 m, K(ölner Dom) 144 m; Breite Y 76 m, K 86 m; Gewölbehöhe Y 31 m, K 43 m; Volumen umbauter Raum in m³ Y 140.000, K 407.000 +++


Von unserem B&B nahe der Stadtmauer aus haben wir abends einen feuchten Spaziergang in die Innenstadt unternommen und im Snickleway Inn in einem Gebäude aus dem 15. Jhd. ein paar Pints getrunken. Wir haben im B&B Palm Court (das seit 2020 geschlossen ist) ganz gut geschlafen. Und mittelmäßig gefrühstückt.

Letzter Tag: Bei strahlendem Sonnenschein sind wir nach Knaresborough gefahren. Die dortigen Burgruinen haben wir ignoriert. Moni hat sich stattdessen einen letzten Cream Tea (mit viel clotted cream) spendiert.

Von dort waren's dann nur noch 15 Meilen zum Flughafen.




Das also war Yorkshire 2011. Im Gegensatz zu unseren Erfahrungen im Vorjahr mit Aragon haben wir keine Verbesserungsvorschläge zu machen. Die Route war so, wie sie war, perfekt. Wir würden alles wieder genauso machen, nur 14 Tage früher. Obwohl - siehe oben - wir keinen Grund zur Klage hatten.
Zum guten Schluß, damit kein falscher Verdacht aufkommt: Wir haben nicht NUR Abteien, Kirchen, und Burgen besichtigt.


Kosten
Als sparsamer Rentner fliegt man, wenn man fliegt, Ryanair. Die Tickets von Weeze (muß man nicht kennen) nach Leeds (muß man auch nicht kennen) und zurück kosteten für uns beide zusammen 60,00 € (alle Gebühren eingeschlossen, und das Bordklo war auch umsonst).
Geparkt wurde wieder in den alten RAF-Bunkern zu 30 € für 5 Tage.
Dazu für 225 km bei 8 l/100 km noch mal für 25 € Sprit macht summa summarum 115 € für 2 Personen Köln - Yorkshire und zurück.
Der Mietwagen schlug (bei unbegrenzter Kilometerzahl, allen Versicherungen und ohne Selbstbeteiligung bei Unfall) mit £112,00 zu Buche.
Die B&B's kosteten im Schnitt £80,00 pro Nacht (Zimmer mit Frühstück)

Technische Details
Flug: Weeze (NRN) - Leeds (LBA) - Weeze
PKW: Vauxhall Corsa; Gesamtstrecke 725 km
4 Nächte: Garsdale, Garsdale B&B (2); Osmotherley, Vane House B&B (1); York, Palm Court B&B (1)

Tagesetappen
1. Tag: (Flug)→ Leeds Airport → Bolton Abbey → Garsdale (Ü)
2. Tag: In den Yorkshire Dales: Garsdale → Barnard Castle → Eggleston Abbey → Richmond Castle → Easby Abbey und St. Agatha →Jervaulx Abbey → Middelham Castle → Garsdale (Ü)
3. Tag: Von den Yorkhire Dales in die North York Moors: Garsdale → Hubberholme → Fountains Abbey → Ripon Cathedral → Byland Abbey → Rievaulx Abbey → Osmotherley (Ü)
4. Tag: In den North York Moors: Osmothlerley → Mount Grace Priory → Whitby Abbey → York Minster → York (Ü)
5. Tag: York → Knaresborough → Leeds Airport → (Flug)

Zeichenerklärung und Fußnoten
= Betreuung durch National Trust; = Betreuung durch English Heritage.

(1) William Wordsworth, THE WHITE DOE OF RYLSTONE (Zeilen 1539-1543), 1867
(2) In der 2. Hälfte der 1530er Jahre hat König Heinrich VIII. im Prozeß seiner Loslösung von Rom alle Klöster aufgelöst. (Einzelheiten s. im letzten Teil dieses Berichtes)
(3) Sir Walter Scott, ROKEBY - A POEM, 1813
(4) Weitere von "English Heritage" betreute Monumente sind mit diesem Symbol gekennzeichnet. Der "English Heritage Pass" gewährt unbegrenzten Zugang zu mehr als 400 der wichtigsten Orte der englischen Geschichte; für ausländische Besucher kostet der 7-Tages-Pass £21,40 (Stand 2011)

Bildmaterial
Alle Bilder sind Eigenproduktion, außer diesen auf Seite 5: www.geograph.org.uk, Seite 9u: ih2.redbubble.net, Seite 14u: www.tgomagazine.co.uk, Seite 19: http://www.flickr.com, Seite 21 Fn 12: Google "Bilder"

Heinrich VIII. und die Auflösung der englischen Klöster
Auf den vorherigen Seiten tauchen bei allen Abtei- und Prioratsbeschreibungen die Jahreszahlen 1536 - 1540 auf. In diese zweite Hälfte der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts fiel das Ende der von uns während dieser reise besuchten (und aller übrigen) Abteien in England, Schottland und Wales.

Die Auflösung der englischen Klöster (Dissolution of the Monasteries), von den englischen Katholiken auch als Unterdrückung der Klöster (Suppression of the Monasteries) bezeichnet, war der formale Akt während der Englischen Reformation, mit dem Heinrich VIII. 1536 bis 1541 die Besitztümer klösterlicher Einrichtungen in England, Wales und Irland konfiszierte. Durch das Parlament hatte sich Heinrich VIII. 1534 durch die Suprematsakte (Act of Supremacy) zum Oberhaupt der Kirche in England und Wales erheben lassen. Womit er sich von der päpstlichen Autorität löste. Unter massivem Druck (First Suppression Act) kam es ab 1536 zu "freiwilligen" Klosterauflösungen, da den Oberen Hochverratsprozesse angedroht wurden. Die Mönche wurden mit Pensionen geködert, ihren Orden zu verlassen, Ein Wechsel in ein anderes Kloster war ausgeschlossen. Als das Parlament 1539 ein Gesetz zur Legalisierung der freiwilligen Selbstauflösung der Klöster verabschiedete (Second Suppression Act), waren die verwaisten Klöster bereits verlassen oder säkularisiert worden.
Hier findet sich eine erschreckend lange Liste der aufgelösten Klöster. Sie verdeutlicht das Ausmaß des kulturellen und seelsorgerischen Verlustes, für die den Heinrich VIII. durch seine Dekrete verantwortlich war.
Und das ist er (und seine Frauen und Mätressen und Darsteller), so, wie Google "Bilder" ihn hergibt.

© Friedrich Ortwein, Köln, Oktober 2011

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